Chow - Justin


 

Justin


Deckel sucht Topf

Von Uli Hoffmann

Es ist interessant, welche Zufälle das Leben schreibt.

Schmunzelnd las ich die Mail von meiner Freundin aus NRW. Sie berichtet darin von einem Mann, der mit einen schwarzen Chow-Chow Rüden spazieren ging. Dieser Rüde kam aus einem Nordbayerischen Tierheim und hörte auf den Namen „Justin“. Es war Ende April und meine Gedanken schweiften zurück an den kalten, verschneiten Dezembertag, als ich „Justin“ im Tierheim kennen lernen durfte.

Mein Besuch im Tierheim wurde von den Chow-Chow`s in Not angekündigt. Viel wusste man von dem kürzlich abgegebenen Chow-Chow-Rüden nicht, nur dass er aus 3. Hand von einem ausländischen wirkenden Ehepaar abgeliefert worden war. Das genau Alter des Hundes wusste man aufgrund des Ahnenachweises, der nebst einem Strick und schwerem Halsband als Zugabe zu dem Hund zurückgelassen wurde.

Sonderbar sei der Rüde und nicht mit jedermann gleich auf „du und du“. Mit fremden Hunden hätte er Probleme, jedoch mit seinen Hundenachbarn hätte er sich mittlerweile arrangiert. Manchmal würde er auch unwirsch auf Menschen reagieren.

Bepackt mit all meinen selber gebackenen Chowie-Leckereien folgte ich dem Pfleger in die Außengehege. Die dicken Schneeflocken tanzten um uns herum als wir vor einem großen Zwinger angekommen waren.

Der Pfleger öffnete die Türe, schob mich schnell hinein und schloss hinter mir wieder ab. Da stand ich nun im aufgeweichten Matschboden, suchend umschauend wo denn nun der Chow-Chow ist.

Erst auf dem 2. Blick sah ich hinter der Holzhütte, die mitten im Zwinger als Unterschlupf stand, eine dicke neugierige Chowie-Nase hervor blicken. Vorsichtig bewegte ich mich Richtung Hütte. Die Schritte, die ich jedoch vorwärts ging, ging Justin rückwärts. So hatte es keinen Sinn, weiter als 5 Meter ließ er mich nicht heran kommen. Außenstehende hätten sich bestimmt über uns beide amüsiert, wie wir um die verfallene Hundehütte herum tanzten.

Nun gut, wenn ich nicht zu ihm darf, muss er halt zu mir kommen. Ich ging Richtung Ausgang und tat so, als wenn ich den Zwinger verlassen wollte. Suchte dann in meiner Jacke nach den mitgebrachten Leckereien, die ich laut raschelnd aus der Jackentasche hervorkramte. So stand ich viele Minuten mit dem Rücken zu Justin da und wartete … und er enttäuschte mich nicht.

Irgendwann war die Neugier oder der Geruch nach den selbst gemachten Leckereien zu groß geworden. Den Augenblick werde ich nicht vergessen, als die samtene Chowie-Nase das erste Leckerchen aus meiner herunterhängenden Hand genommen hatte. Vorsichtig war er, ganz vorsichtig, fast schon zärtlich. Langsam drehte ich mich um und er blieb stehen und sprang nicht gleich wieder davon.

Meine Leckerlies nahmen rapide ab, aber mehr als dass er sie zärtlich aus meiner Hand nahm, konnte ich nicht von ihm verlangen. Sobald ich meine Hand langsam und vorsichtig Richtung Hals oder Kopf führen wollte, wich Justin zurück. Es war kein weiteres herankommen an den Buben möglich. Plötzlich sprang er ohne Vorwarnung weg und versteckte sich hinter der Holzhütte. In den Zwinger kam eine Pflegerin des Tierheimes. Sie erzählte, dass Justin ein sonderbarer Hund wäre, zu ihr wenig bis gar keinen Bezug hätte und außerdem die Zeit fehlen würde um mit Justin „heititeiti“ machen zu können.

Mein Blick ging zwischen Justin, der mit seinem dreckigen völlig ungepflegten Fell eine Bürste stellte, hin zur Pflegerin. Nein, diese beiden mochten sich gar nicht. Egal, ich bat um eine Leine damit ich mit dem Buben spazieren gehen konnte. Das war jedoch nicht so einfach, da sich Herr Chow-Chow nicht am Halsband anfassen lassen wollte. Mit Hilfe eines selbstgebauten Lassos hatte ich nach etlichen Versuchen, den Chowie-Mann an der Leine, zog ihn vorsichtig zu mir und wir konnten dann, mit vereinten Händen von zwei weiteren Pflegern, eine Leine an sein schweres Halsband festmachen.

Es schneite weiter, als ich einen freudig trabenden Chow-Chow Rüden neben mir an der Leine hatte. Außerhalb des Tierheims blühte der Bube auf. Vorbei an den Katzen, die ihn absolut nicht interessierten, weiter an Fußgänger, die er negierte. Nur bei entgegen kommenden Hunden, markierte er den Macho. Justin stieg sofort in mein Auto ein, als ich die Beifahrertüre für ihn öffnete und wollte es gar nicht mehr verlassen.

Schweren Herzens musste ich diesen wunderbaren Chowie-Buben wieder im Tierheim abgeben. Mir war einfach nicht klar, warum so ein toller Hund abgegeben wurde.

Noch am selbigen Tag gab ich Rotraut Bescheid und es war schnell ein neues Zuhause für den Buben gefunden bis er abgeholt werden sollte.

Doch es kam leider anders. Aus welchen Gründen auch immer, Justin gebärdete sich am Tag der Abholung als böser Chow-Chow Rüde, der den Interessenten in den Arm biß.

Es wurde Gericht über Justin gehalten. Es standen Worte von „einschläfern, da man nicht weiß, was bei den drei Vorbesitzern vorgefallen ist“ im Raum. Ich war erschrocken. Erschrocken über diesen äußerst lieben Buben, der zärtlich die Leckerchen aus meinen Fingern nahm und noch vorsichtig schleckend nach mehr forderte und erschrocken darüber, dass ich mich selber so irren konnte und den liebevollen Buben anscheinend falsch eingeschätzt hatte.

Es blieb nicht viel Zeit um ein anderes Heim für Justin zu finden. … und Rotraut schaffte wieder das schier unmögliche. Ein paar Wochen später fuhr ein 2CV von NRW Richtung Tierheim. Ein Mann stieg aus, ging zu Justin und er musste eine ähnliche liebevolle Erfahrung mit Justin gemacht haben wie ich. Nach seinem Spaziergang mit Justin ging er zur Tierheimleitung und meinte, dass er diesen Hund keinen Augenblick länger mehr im Tierheim lassen wird. Es könnten die Entlassungspapiere für Justin fertig gemacht werden. Justin fährt heute noch mit ihm zurück nach NRW. Gesagt – getan und Justin verließ einige Minuten später Bayern um nach NRW auszuwandern.




Meine Freundin stellte den Kontakt zu Justin’s Herrchen her und ich konnte mit verfolgen, wie gut sich dieser schwarze, stattliche Chow-Chow-Rüde bei seinem Herrchen entwickelte. Es war eine Freude, an den Fortschritten von Justin teil haben zu dürfen.

Die beiden haben sich gesucht und gefunden – eben der richtige Deckel für den richtigen Topf.
Danke an Herrn S., der einem schmuddeligen Edelstein die Möglichkeit gegeben hat, ein strahlender Brillant zu werden.

Fotos von Jürgen Steinbrecher